Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Dezember 2019

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 9.-11. Dezember 2019 um 18 Uhr lief


Gorilla Bathes at Noon

D 1992/1993 – 83 Min. (2288 m) – 35 mm (1:1,66) – Farbe

Regie, Buch: Dušan Makavejev. Kamera: Aleksandar Petković, Miodrag Milošević. Kameraassistenz: Živorad Nešić, Pal Strajnić. Schnitt: Vuksan Lukovac. Schnittassistenz: Sonja Dordević. Ton: Uroš Kovačević, Vladimir Stanojević, Peter Henrici. Tonschnitt: Karl Brandenburg, Susanne Peuscher. Mischung: Martin Steyer. Musik: Brynmor Llewelyn Jones. Ausstattung: Veljko Despotović. Spezialeffekte: Srba Kabadajić. Kostüme: Marina Vukasović-Medenica. Make up: Stanislava Zarić. Regieassistenz: Duda Ceramilac. Produktionsleitung: Elisabeth Schwärzer. Aufnahmeleitung: Branco Breberina, Dagmar Kempf.

Darsteller: Svetozar Cvetković (Victor Borisovich), Anita Mančić (Miki Miki, Lenin), Alexandra Rohmig (deutsches Mädchen), Petar Božović (Trandafil), Andreas Lucius (Polizeibeamter), Eva Ras (Miki Mikis Mutter), Davor Janjić (Penner), Zoran Ratković (Penner), Suleyman Boyraz (Türke), Nataša Babić-Zorić (Frau Schmidt), Aleksandar Davić (Dealer), Alfred Holighaus (Journalist).

Produktion: alert Film GmbH, Berlin. Co-Produktion: Extaza [!], Belgrad, Von Vietinghoff Filmproduktion, Berlin. Produzenten: Alfred Hürmer, Bojana Marijan, Joachim von Vietinghoff.

Gewidmet Aleksandar Stojanović. 

Uraufführung: 21. Februar 1993, Berlin, Zoo-Palast (43. Internationale Filmfestspiele, Wettbewerb, Sondervorführung [außer Konkurrenz]).


Es war nur Nasenbluten, dessentwegen Victor (also von seinem Namen her „der Sieger“) ins Krankenhaus kam. Doch als er entlassen wird, hat nicht der russische Soldat sich von seiner Truppe, sondern diese sich von ihm entfernt: Sie ist ab­gezo­gen aus Deutschland. Auch seine Frau mit dem gemeinsamen Kind will nichts mehr von ihm wissen. In die Heimat zurückkehren mag er nicht. Und so beginnt für Victor auf der Suche nach Nahrung, Unterkunft und Liebe eine Odyssee durch Berlin, wo er erlebt, wie das riesige Lenin-Denkmal demontiert wird, wo ihm aber auch – in einer improvisierten Notbehausung mit anderen Aus­gestiegenen und Ausgestoßenen – der leibhaftige Lenin erscheint (und zudringlich wird).

1932 in Belgrad geboren, sorgte Dušan Makavejev Anfang der siebziger Jahre für Furore mit „WR – Mysterien des Organismus“, nach dessen Verbot er nach Paris emigrierte. Auch dieses Spätwerk bietet eine furiose Mischung aus Fiktion, Dokumentation und gefundenem Material (hier insbesondere Michail Tschiaurelis 1949 entstandener heroischer Kriegsfilm „Der Fall von Berlin“, in dem allen voran der gottgleiche Stalin den Zweiten Weltkrieg gewinnt). Der Blick auf die Absurditäten des Lebens im Berlin des Jahres 1992 ist vor allem ein Blick auf die Absurditäten der Geschichte, die zu diesem Zustand geführt haben, zuletzt der gerade untergegan­gene Ostblockkommunismus. Makavejev präsentiert das ganze überbordende, teils auch verlogene Pathos, mit dem die Heilslehre verkündet, aber auch wildentschlos­sen geglaubt wurde, und das lächerlich wirkt angesichts dessen, wohin sie führte und wie sie endete. So entsteht ein (bemerkenswert rarer) Abgesang auf eine geschei­ter­te Ideologie, wie ihn so womöglich nur ein Künstler schaffen konnte, der unter ihr ge­lebt und gearbeitet hatte: Ohne Sentimentalität, ohne Wehklage, erst recht oh­ne No­stal­gie, sondern ein Film, der den Namen „Good bye, Lenin!“ wirklich verdient hätte.

Entsprechend gallige Reaktionen gab es, als „Gorilla Bathes at Noon“ 1993 im Berlinale-Wettbewerb außer Konkurrenz uraufgeführt wurde. Für Harald Martenstein hin­gegen war es der schönste Film des ganzen Festivals. Im „Tagesspiegel“ vom 22. Februar 1993 resü­mier­te er: „Distanz schärft den Blick. Makavejevs Nullzeit-Berlin ist auch das Berlin des ‚Ostkreuz’-Regisseurs Michael Klier, aber Makavejevs ‚Gorilla’ ist weniger her­me­­­tisch, also nicht nur intelligent, sondern auch unterhaltsam. Ein fliegender Tep­pich. Aus der Distanz betrachtet, wird er vielleicht der Film dieses Festivals sein.“ Und Dieter Strunz meinte: „Man muß wohl von draußen kommen, um so einen liebevoll-grotesken Berlin-Film zu drehen.“ („Berliner Morgenpost“ vom 22. Februar 1993) Dennoch war „Gorilla Bathes at Noon“ seither nur sehr selten in Berlin zu sehen. Bis heute ist er nicht auf DVD oder Blu-ray verfügbar.

Wir zeigen den Film zur Erinnerung an Dušan Makavejev, der am 25. Januar 2019 verstorben ist, an den Abzug der russischen Truppen aus Deutschland, der sich 2019 zum fünfundzwanzigsten Male jährte, an den Zusammenbruch der kommunisti­schen Diktaturen vor dreißig Jahren und nicht zuletzt im Vorgriff auf den fünfundsieb­zigsten Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa und auf den fünfzigsten Jahrestag des Abbruchs einer Berlinale (im Juli) – ein Ereignis, zu dem Dušan Makavejev durch sein mutiges Auftreten beitrug.


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.




 








Quelle der filmographischen Angaben: Make-up, Widmung: Originalvorspann. Alle anderen Angaben: Berlinale-Katalog 1993 (dort als Produktionsjahr 1992 genannt, im Abspann Copyright 1993; dort alle Namen ohne Sonderzeichen geschrieben; Extaza im Vorspann „Ekstaza“ geschrieben; bereits vor der Aufführung im Zoo-Palast um 17.30 Uhr gab es am gleichen Tag um 9.30 Uhr eine Aufführung im Haus der Kulturen der Welt, Fassbinder-Saal). Stabangaben im Abspann: Editor: Vladimir Milenkovic [!]. Production manager: Elisabeth Schwärzer, Miodrag Medenica. 1 st asst director: Duda Ceramilac. 2 nd asst director: Aleksandar Davić. Associate editor: Sonja Dordević. Additional dialog: Maja Vujović. Continuity: Marija Dordević. Unit manager: Branko Breberina, Dagmar Kempf. Production coordinator: Mirjana Petrović-Devic. Set decorator: Željko Antonović. Still photographer: Slavko Matejić. Cameraman: Uli Köhler. 1 st asst camera: Živorad Nešić, Pal Strajnić. 2 nd asst camera: Milorad Mijatović. Clapper: Ljubiša Novaković. Wardrobe: Sne­žana Tanasković. Makeup: Jasmina Lilić. Boom operator: Aleksandar Mitrović, Dejan Peković. Props: Boško Todorović. Chief lighting technician: Dušan Krčmarov. Gaffer: Dragan Adamović, Janko Tordai. Unit manager cast: Dragoslav Vulanović. Special effects: Srba Kabadajić. Key grip: Dragan Madžgal­je­vić. Grip: Nusret Efendić. Asst to the director: Sonja Postolović. Sound: Uroš Kovačević, Vladimir Stanojević, Peter Henrici. Post production supervisor: Klaus Zimmermann, Frank Dragun. Sound editors: Karl Brandenburg, Susanne Peuscher. Sound effects: Mića Zajc, Marko Rodić. Asst sound editor: Elke Weisser. Dubbing: Ralf Breitung. Sound mixer: Bruno Nellessen. Accountant: Monika Haffert, Olga Živanović. Titles: Thomas Wilk. Production associate: Mića Podunavac. Production troubleshooter: Svetozar Cvetković. Processing: ARRI-contrast, Berlin, Zastava Film, Belgrade. Post-production: ForFilm, Berlin, Re-recording: ARRI-contrast, Berlin. Inserts from “Fall of Berlin” courtesy of Sovexport Film. Special thanks to: Želimir Žilnik, Jürgen Erikson & Naturstein-Vertrieb, International Genex Bank. Shot on location in Berlin & Belgrade with collaboration of TV Novi Sad & TV Beograd with a support of The Berliner Filmförderung.

Bilder: Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen.