Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats März 2023

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Am 9.+10. sowie vom 13.-15. März 2023 jeweils um 18 Uhr lief


Irgendwo in Berlin

D (Ost) 1946 – 85 Min. (2329 m) – 35 mm (1:1,33) – Schwarzweiß

Regie, Buch: Gerhard Lamprecht. Kamera: Werner Krien. Musik: Erich Einegg. Schnitt: Lena Neumann. Bauten: Otto Erdmann. Ton: Fritz Schwarz. Maske: Arnold Jenssen, Walter Pantzer. Aufnahmeleitung: Ernst Körner, Fritz Brix.

Darsteller: Charles Knetschke (d.i. Charles Brauer) (Gustav Iller), Hans Trinkaus (Willi, Freund von Gustav), Harry Hindemith (Iller), Hedda Sarnow (Frau Iller), Walter Bluhm (Onkel Kalle), Siegfried Utecht (der „Kapitän“), Hans Leibelt (Eckmann), Paul Bildt (Birke), Fritz Rasp (Waldemar), Lotte Loebinger (Frau Steidel), Gerhard Haselbach (Hansotto, Sohn von Frau Steidel), Magdalene von Nußbaum (Frau Schelp), Lilli Schoenborn (Frau Timmel), Karl Hannemann (Kriminalbeamter), Gaston Briese (Herr Timmel), Walter Strasen (Kommissar), Dieter Bauer („Spitzmaus“), Georg Kröning (Arzt), Edda Meyer (Lotte), Isolde Laux (Frau mit Einkaufstasche), Hans Alexander (Stotterer), Peter Marx (1. Verfolger), Franz Rohn (2. Verfolger), Eduard Wenck (Schneidermeister), Käthe Jöken-König (Portiersfrau).

Erstverleih: Sovexportfilm Berlin.

Uraufführung: 18. Dezember 1946, Berlin, Deutsche Staatsoper (im Ausweichquartier Admiralspalast). Öffentliche Uraufführung: 20. Dezember 1946, Berlin, Filmtheater (am) Friedrichshain.


Berlin 1946: Die Trümmerlandschaft der weitgehend zerstörten Stadt dient Kindern als großer Abenteuerspielplatz. Sie nutzen sie auch, um mithilfe von Feuerwerksraketen Krieg zu spielen – wie Kinder eben immer Erlebtes auf derartige Weise verarbeiten (wenn man sie lässt – aber damals durften Kinder ja noch weitgehend unbeaufsichtigt aufwachsen).

Im Mittelpunkt steht der kleine Gustav (der seinerzeit elfjährige Charles Knetschke, der später als Charles Brauer Karriere machte), dessen Vater, als er endlich aus der Gefangenschaft zurückkehrt, sich als unfähig erweist, den verwüsteten Garagenhof der Familie wieder aufzubauen oder überhaupt irgendeine Initiative zu entfalten. Gustavs bester Freund ist der Waisenjunge Willi, der bei einer gütigen, aber schwachen Frau und deren Untermieter, einem Taugenichts und Schieber, Unterschlupf gefunden hat. Aus seinen Vorräten bedient sich Willi, um Gustavs Vater wieder aufzupeppeln. Als der Diebstahl auffliegt, muß der Junge zu einem anderen Nachbarn flüchten.

Mit seinem ersten Nachkriegsfilm setzte der Berliner Gerhard Lamprecht, der auch das Drehbuch verfaßt hatte, seine eigene Tradition fort: Als Macher von „Milieu-“ oder „Zille-Filme“ (wie man dies damals nannte), im sonst vom Kino eher wenig beachteten proletarischen Umfeld angesiedelten Werken wie „Die Verrufenen“, „Die Unehelichen“ und „Menschen untereinander“, in denen Kinder bereits eine wichtige Rolle spielten. Und natürlich der ersten Adaption von „Emil und die Detektive“, die Lamprecht 1931, kurz nach Erscheinen des bahnbrechenden Kinderbuchs, inszeniert hatte.
Wie dort tritt Fritz Rasp auch in „Irgendwo in Berlin“ als Bösewicht auf. Doch die Grundstimmung ist natürlich, eingedenk der Dinge, die inzwischen geschehen sind, und der Lebensumstände, zu denen sie geführt haben, wenig fröhlich, auch wenn es eher die Erwachsenen sind, die an ihnen leiden. Gustav und seine Freunde nehmen die Verhältnisse als gegeben hin, und so sind am Ende auch sie es, die die Erwachsenen aus ihrer Lethargie reißen.

„Irgendwo in Berlin“ war der dritte abendfüllende Spielfilm der gerade gegründeten DEFA, nach „Die Mörder sind unter uns“ und dem die Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone propagierenden „Freies Land“. Ein klassischer „Trümmerfilm“, in dem es neben den äußeren auch um die inneren Verwüstungen geht, die der Nationalsozialismus und sein Krieg hinterlassen haben. Wegen der ähnlichen Thematik, dem Schauplatz Berlin und dem Umstand, daß Kinder im Mittelpunkt stehen, drängt sich ein Vergleich mit Roberto Rossellinis nahezu zeitgleich entstandenem Drama „Deutschland im Jahre Null“ auf. Daß „Irgendwo in Berlin“ weit weniger bekannt ist (und viel seltener gezeigt wird), dürfte einzig daher rühren, daß Gerhard Lamprecht in Filmhistorikerkreisen weniger umjubelt wird als sein italienischer Kollege.

Denn daß die DEFA-Produktion nicht nur wegen des teilweise hanebüchenen Inhalts und der erheblichen handwerklichen Mängel von „Deutschland im Jahre Null“ der bessere Film ist, befand auch die legendäre Filmhistorikerin Lotte H. Eisner, die schon 1953 in ihrem berühmten Buch „Die dämonische Leinwand“ über Lamprechts Werk schrieb: „So steht sein Nachkriegsfilm IRGENDWO IN BERLIN (1946) trotz mancher von der ökonomischen Situation bedingter technischer Unzulänglichkeit weit über dem Film GERMANIA ANNO ZERO, der ja bereits infolge Rossellinis Unkenntnis der deutschen Sprache und der deutschen Mentalität gehandicapt worden ist.“


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.


Mehr zu dem Film hier und hier.





Quellen der filmographischen Angaben: Filmlänge, Filmformat, Maske, Aufnahmeleitung, Darsteller und Rollennamen: https://www.defa-stiftung.de/filme/filme-suchen/irgendwo-in-berlin/ (besucht am 22.2.2023; dort für „Szenenbild“ außerdem Wilhelm Vorwerg genannt). Uraufführung, Bildformat: https://www.filmportal.de/film/irgendwo-in-berlin_58ec7484133b4337ac871220f67d8033 (besucht am 22.2.2023). Öffentliche Uraufführung: Berliner Zeitung vom 20.12.1946. Alle anderen Angaben: Originalvorspann (dort Erich Eineggs Funktion bezeichnet mit „Komposition und musikalische Leitung“).

Photos: DEFA-Stiftung/Kurt Wunsch.