Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Juni 2018

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 11.-13. Juni 2018 um 18 Uhr lief

Leichensache Zernik

DDR 1971/1972 – 100 Min. (2720 m) – 35 mm (1:1,33) – Schwarzweiß
Regie: Helmut Nitzschke. Buch: Gerhard Klein, Joachim Plötner, Wolfgang Kohlhaase, Helmut Nitzschke. Dramaturg: Anne Pfeuffer. Fachberatung: Herbert Grieschat. Kamera: Claus Neumann. Szenenbild: Georg Kranz. Bauausführung: Herbert Günther. Musik: Hans-Dieter Hosalla. Kostüme: Eva Sickert. Masken: Klaus Becker, Waltraud Becker. Schnitt: Evelyn Carow. Regieassistenz: Dorit Langbein. Ton: Kurt Eppers, Harry Fuchs. Aufnahmeleitung: Wolfgang Bertram, Klaus Preißel. Filmfotografen: Frank Bredow, Peter Dietrich, Waltraud Pathenheimer. Außenrequisiteur: Ingrid Hoehne. Beleuchtungsmeister: Jürgen Jankowski.
Darsteller: Alexander Lang (Horst Kramm, Kriminalanwärter), Gert Gütschow (Erwin Retzmann), Norbert Christian (Kleinert, Oberrat, Leiter der Direktion K), Kurt Böwe (Stübner, Kriminalrat, Leiter der Mordkommission), Hans Hardt-Hardtloff (Josef Probst, Kommissariatsleiter), Annemone Haase (Katherina Zernik), Friedel Nowack (Frau Dahlmann, Mutter von Frau Zernik), Lissy Tempelhof (Ingrid Walter), Käthe Reichel (Lucie Matewsky, genannt „Goldlucie“), Ute Boeden (Trude Heinrich), Agnes Kraus (Emma Böhnke), Günter Naumann (Brucker, Leiter der Abteilung Fahndung), Dieter Wien (Dieter Neltner, Mitarbeiter der MOK), Jürgen Holtz (Berchtold, Stellvertreter von Probst), Rolf Hoppe (Werner W. Bergmann, Fuhrunternehmer), Jörg Gillner (Hilgert, Kriminalanwärter), Justus Fritzsche (Alfred, Mitarbeiter der MOK), Heinz Scholz (Otto Böhnke, Hausvertrauensmann), Horst Hiemer (Tscherbakow), Otto Stark (Rosenfeld, US-Leutnant), Franz Viehmann (Kilgas, US-Major), Gerd Ehlers (Kommissariatsleiter im Franz. Sektor), Fritz Links (Rudolph, Hausvertrauensmann), Gerhard Paul (Mehnke, Straßenvertrauensmann), Wolfram Handel (Fuchsner, Sektorenassistent), Viktor Deiß (Eitner, Kriminalbeamter in Zehlendorf), Hasso Zorn (Hutschner, Mitarbeiter der MOK), Otto Schröder (Schneider, Mitarbeiter der MOK), Günter Rüger (Mitarbeiter der MOK), Gerd Steiger (Mitarbeiter der MOK), Renate Usko (Sekretärin von Stübner), Carola Braunbock (Frau am Kiosk), Karin Gregorek (Frau in der S-Bahn), Peter Kalisch (Knipser S-Bahnhof Berlin-Buch), Horst Wünsch (Bauer), Georg Michael Wagner (Ober im Westberliner Restaurant), Gerhard Möbius (Gastwirt), Viktor Kaune (Mitarbeiter der Abteilung Fahndung), Erich Schmidt-Rau (Mitarbeiter der Abteilung Fahndung), Axel Triebel (Mann im Hausflur Zernik), Jarmila Kalovská (Frau im Hausflur Zernik), Gerd Michael Henneberg (Polizeiarzt), Harald Warmbrunn (Offizier der Schutzpolizei), Hans-Peter Pieper (1. Verkehrspolizist), Christoph Beyertt (2. Verkehrspolizist).
Das Filmkollektiv dankt dem Ministerium des Innern für seine Unterstützung.
Produktion: DEFA, Gruppe „Berlin“. Produktionsleitung: Horst Dau.

Erstverleih: Progress.

Premiere: 30. März 1972, Berlin, Kosmos.


Im Juni 2018 jährt sich zum siebzigsten Male der Beginn der sowjetischen Blockade der Berliner Westsektoren. Während dieses Ereignisses, mit dem der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und ihren einstigen westlichen Alliierten offen ausbrach, spielt der DEFA-Krimi „Leichensache Zernik“, der auf ein Projekt Gerhard Kleins zurückgeht, das dieser nicht mehr vollenden konnte. Statt wie von Klein („Eine Berliner Romanze“, „Berlin – Ecke Schönhauser ...“, „Berlin um die Ecke“) geplant ein Panorama des Lebens im noch immer zerstörten Berlin des Jahres 1948 zu zeichnen, konzentriert sich der kurz nach Kleins Tod von seinem langjährigen Assistenten Helmut Nitzschke realisierte Film ganz auf das (von einem authentischen Fall inspirierte) Treiben eines gerissenen Frauenserienmörders und die Jagd der Polizei des östlichen Machtbereichs nach ihm.

Als „Leichensache Zernik“ 1972 in die DDR-Kinos kam, lobten die Kritiker den Film praktisch unisono, insbesondere wie exakt hier die damals ein Vierteljahrhundert zurückliegende Zeit rekonstruiert worden wäre. Dabei fehlt in dem Streifen ein wesentliches Element: das nahezu ständige, seinerzeit in der östlichen Propaganda als Lärmbelästigung der Berliner beklagte Dröhnen von Flugzeugmotoren über Berlin, wurden die Westsektoren doch fast ein Jahr lang aus der Luft versorgt. Immer wieder betont wurde in den DDR-Medien 1972 auch, wie hier der schwere Anfang der neuen, also kommunistischen Ordnung eindrucksvoll dargestellt würde, verkörpert durch den jungen Kriminalassistenten (Alexander Lang), der aus der Fabrik abgesandt worden wäre, um die „neue“ Polizei mitaufzubauen. In ihrer Interpretation folgten die Rezensenten in der Regel jener Marschrichtung, die der Verleih im Pressematerial wie folgt vorgegeben hatte: „Die schwierige Aufklärung dieser ‚Leichensache Zernik’ im Berlin des Jahres 1948 zeigt ein DEFA-Kriminalfilm unter der Regie von Helmut Nitzschke als ein Abenteuer, das nur mutige, zähe, im antifaschistischen Kampf gestählte Kriminalisten bestehen konnten – und junge Arbeiter, die auch im noch ungewohnten Polizeidienst ihren Mutterwitz und ihren Klasseninstinkt unter Beweis stellten.“

Unerwähnt blieb, daß die Suche nach dem Mörder auch dadurch erschwert worden sein könnte, daß man bei der Kriminalpolizei (zu) viele Fachleute aus ideologischen Gründen entlassen und durch unerfahrene, eilig angelernte Laien ersetzt hatte. Last but not least erscheint die vielbeklagte Spaltung Berlins, seiner Verwaltung und schließlich auch seiner Polizei in dem Film als reine Schikane des übel gesonnenen Westens, für die es so wenig einen Anlaß gab wie die Blockade überhaupt stattgefunden zu haben scheint. So ist „Leichensache Zernik“ auch ein interessantes Beispiel dafür, wie man Geschichte verzerrt darstellen und somit subtil Propaganda betreiben kann, indem man historische Fakten einfach unterschlägt.

Allem Lob zum Trotz konnte der 1935 geborene Helmut Nitzschke kaum weitere Filme realisieren. Er verließ die DDR 1986.

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu dem Film hier und hier.

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J.G.

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Quellen der filmographischen Angaben: Filmlänge und Filmformat: https://www.filmportal.de/film/leichensache-zernik_ecddb983dfe14abb9e5016a841af1930 (besucht am 23.5.2018). Ort und Datum der Premiere: Ralf Schenk (Red.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg – DEFA-Spielfilme 1946-92, Berlin: Henschel 1994, S. 450. Alle anderen Angaben: Kino DDR (Progress-Pressebulletin) Nr. 6/1972 (dort Filmlänge mit 2977 m angegeben, Bildformat: [offenkundig irrtümlich] Totalvision, dann wieder heißt es: „Ein Kriminalfilm der DEFA, ‚Gruppe Berlin’, in Normalformat auf ORWO-Kinefilm“). Zum Starttermin heißt es in „Junge Welt“ vom 4. April 1972: „‚Leichensache Zernik’ läuft zur Zeit im Berliner Filmtheater ‚Kosmos’ und kommt ab 28. April in die Kinos der Republik.“

Bilder: DEFA-Stiftung.