Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Oktober 2019

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 14.-16. Oktober 2019 um 18 Uhr lief



Jeder schweigt von etwas anderem

D 2005/2006 – 72 Min. – Mini-DV überspielt auf 35 mm (1:1,66) – Farbe

Regie, Buch: Marc Bauder, Dörte Franke. Kamera: Börres Weiffenbach. Kamera­assistenz: Sandra Merseburger, Helge Haack. Schnitt: Rune Schweitzer. Ton: Mario Köhler, Marc von Stürler, Eric Lieberwirth. Schnittassistenz: Johanna Straub. Ton­schnitt, Mischung: Anton K. Feist. Tongestaltung, Musikmischung: Lars Ginzel, Detlef A. Schitto. Musik: B. Fleischmann. Farbkorrektur, Titel: Till Beckmann. Übersetzung: Klaus Charbonnier. Produktionsleitung: Linda Kornemann. Produzent: Marc Bauder. Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“: Burkhard Althoff.

Mit Anne Gollin, Günther Gollin, Elfriede Gollin, Sebastian Gollin, Utz Rachowski, Lisbeth Rachowski, Dagny Dewath, Anne Dewath, Salli Sallmann, Tine Storck, Matthias Storck, Felix Storck, Hannah Storck, Luise Storck.

Produktion: Bauderfilm in Zusammenarbeit mit dem ZDF „Das kleine Fernsehspiel“.

Uraufführung: 11. Februar 2006, Berlin, Colosseum (Internationale Filmfestspiele, Panorama Dokumente). 

Kinostart: 14. September 2006.

Erstausstrahlung: 6. November 2006, 0.20 Uhr (also genau genommen am 7. November 2006), ZDF.

Erstverleih: GMfilms.


„Verbreitung von Hetzliteratur“, „staatsfeindliche Hetze“ oder auch „lan­de­s­­­­verrä­­te­­ri­­sche Agententätigkeit“ lauteten die Anklagepunkte, nach denen Anne Gollin, Utz Rachowski und das Ehepaar Tine und Matthias Storck um 1980 ve­r­urteilt wurden. Ihr Vergehen: In Honeckers real-sozialistischem „Puppen­stuben­faschismus“ (Anne Gollin) hatten sie es gewagt, eigenständig zu denken und dann darüber auch noch zu reden und entsprechend zu handeln.

Glück im Unglück für die jungen Leute, die wie so viele andere mit absurdem Auf­wand bespitzelt und verfolgt wurden, weil sie die DDR reformieren und damit letztlich retten woll­ten: Der Planwirtschaft mangelte es neben vielem anderem auch ständig an Geld, mit dem man beim technologisch in der Regel über­legenen „Klassenfeind“ ein­kau­fen konnte. Also ließ sich die DDR die Abschie­bung mißliebiger und daher inhaf­tier­ter Bürger in Richtung Westen von der Bundesregierung be­zah­len. Mit die­sem Geschäftsmodell soll der SED-Staat im Laufe der Mauer­jahre rund 3,4 Mil­liarden Westmark eingenommen haben.

Während sich dessen Vertreter und Verfechter oft bis heute keiner Schuld be­wußt sind, war für ihre Opfer das Leiden aber zumindest psychisch auch mit der Freilassung nicht vorbei. Marc Bauder und Dörte Franke – zusammen arbei­te­­ten sie auch an Filmen wie „Keine verlorene Zeit“, „Grow or Go“ und „Dead Man Working“ – zeigen dies in ihrem unaufgeregten, knappen Dokumen­tar­­film (der sich für die „Vergehen“ wie auch für die Haftbedingungen wenig interessiert) am Beispiel der Sprach­losigkeit oder zumindest der Kommuni­ka­tionsprobleme zwi­schen den einst Eingekerkerten und deren Kindern wie Eltern.

Vor allem die Kinder vertreten in gewisser Hinsicht die westdeutsch dominierte Öffentlichkeit der heutigen Bundesrepublik: Teils möchten sie an Schmerzliches nicht mehr rühren, teils zeigen sie aber auch einfach wenig Neigung, sich mit der unschö­nen Vergangenheit noch länger zu beschäftigen – zumal die DDR in Film und Fernsehen längst oft als bizarr-bunte Welt voll drolliger Figuren und Bege­benheiten dargestellt wird.

Zum dreißigsten Jahrestag der Revolution in der DDR zeigt Berlin-Film-Katalog diese Dokumentation auch als kleinen Diskussionsbeitrag zu den Fragen, wie schwer der Umstand ins Gewicht fällt, daß auch in diesem Sozialismus nicht alles schlecht gewesen sein mag, ob man unter „das andere“ einen Schlußstrich zie­hen sollte und ob wir heute nicht schon wieder ganz ähnliche Verhältnisse ha­ben wie damals.

Dörte Franke und Marc Bauder sind beide Jahrgang 1974, er ist am Bodensee aufgewachsen, sie in Leipzig geboren worden, allerdings schon 1982 in den Westen gekommen. Die abendfüllende Dokumentation „Keine verlorene Zeit“, die sie im Jahr 2000 noch vor ihrem Studium an der Babelsberger Filmhochschule gemeinsam schufen, drehte sich um eine Gruppe junger Leute, die in der DDR der siebziger Jahre angeeckt und verfolgt worden waren – Dörte Frankes Eltern hatte dazu gehört. Die Situationen, die „Jeder schweigt von etwas anderem“ umkreist, kennt sie daher auch aus eigener Erfahrung.


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu dem Film hier (dort kann der Film auch auf DVD erworben werden).






Quelle der filmographischen Angaben: Film- und Bildformat: https://www.filmportal.de/film/jeder-schweigt-von-etwas-anderem_7a49cf72e7cd40b7ade4bb8b8bb5b192 (besucht am 21.9.2019). Länge in Minuten, Produktion, Kinostart, Erstverleih: Presseheft GMfilms. Uraufführung: Berlinale-Journal 2006. Erstausstrahlung: Zitty Nr. 22/2006. Alle anderen Angaben: Originalabspann (dort Bernhard Fleischmann nur als „B. Fleischmann“ benannt).

Bilder: Bauderfilm.